Deutschlernen am Dach der Welt
Ein Erfahrungsbericht von Greta Kostka
Ich heiße Greta. Und du? Guten Morgen, hast du gut geschlafen? Möchtest du Tee? Ich bin Guide. Ich bin Koch. Ich heiße Tsewang. Mein Spitzname ist Sanju. Ich heiße Schokolade … Nein! Ich möchte heiße Schokolade. Und ich Zitronentee. Ich esse ladakhisches Brot. Und was nehmen Sie? Ich nehme Reis und Linsen. Achtung auf den Kopf! Ist es noch weit bis zum Pass?
Was hier so bunt gemischt klingt, ist unser Alltag beim Deutschkurs im winterlich eiskalten Ladakh. Die Lehrerin: Das bin ich, Greta Kostka, pensionierte Lehrerin aus Lassnitzhöhe. Die Schüler: alles „gstandene“ Männer zwischen 26 und 45, die während der Saison als Bergführer, Kulturführer, Koch oder Helfer für die ladakhische Partneragentur von Weltweitwandern arbeiten. Der Background der Männer könnte unterschiedlicher nicht sein: Sie sind Bauern, einer arbeitet auch als Kellner, einer besitzt ein Restaurant, zwei waren früher Mönche in Südindien, einer ist Augenarzt-Assistent. Einige haben nur vier Jahre lang eine Schule besucht, einer studiert auch Englisch. Meine Gruppe, bestehend aus 12 Leuten, ist alles andere als einheitlich. Es gibt eine Anfänger- und eine Fortgeschrittenengruppe.
Um zehn Uhr kommen die ersten Schüler in das Zimmer im ersten Stock eines alten Hauses in Leh und heizen den kleinen Holzofen ein. Sie setzen sich auf die Matten und beginnen zu lesen. Wenn ich dann so gegen halb elf ankomme, höre ich bereits, wie sie üben und freue mich darüber. Ihr Deutsch klingt manchmal sehr indisch oder englisch, aber das stört mich nicht. Das wird schon … Mit kleinen Pausen arbeiten wir bis vier Uhr nachmittags. Als Pausenhighlight gibt es kaschmirisches Fladenbrot, frisch und warm vom Bäcker um die Ecke, und dazu eine große Kanne Milchtee.
Beten oder Lernen?
Unsere Lernstube liegt genau neben dem Hauptkloster in der Innenstadt. Während wir lernen hören wir oft durch Lautsprecher verstärkte Gebete. Von unseren Fenstern aus beobachten wir das Treiben auf dem Klosterhof und die vielen rotgekleideten Mönche. Wenn sie unten ihre religiösen Texte rezitieren sind wir nicht sicher ob wir mitbeten sollen oder nicht. Ich frage sie, ob es nicht ein Sakrileg sei, wenn wir hier im Klang der Trommeln einfach unsere Zahlen oder Deutschsätze sprechen … Nein, nein, wird mir versichert, das sei schon in Ordnung.
Wir gehen einerseits systematisch vor, nach Lehrbüchern für Anfänger, andererseits auch kreativ, zugeschnitten auf die Arbeit meiner Schüler als Kultur- und Bergführer. Sie lernen also vor allem, was bei einer Klosterführung oder unterwegs beim Trekken unbedingt gesagt werden muss. Oder die notwendigen Worte, wenn Gäste in Leh ankommen, wenn sie Fragen zur Kultur haben. Natürlich können sie nicht in zwei Monaten perfekt Deutsch sprechen. Auch auswendig lernen ist sinnlos. Vielmehr arbeiten wir mit Rollenspielen:
Gast und Guide im Kloster.
Der Kursraum ist unser imaginäres Kloster.
Guide: „Kommen Sie rein. Bitte ziehen Sie die Schuhe aus!“
Gast: „Oh ja! Klar! Was ist das?“
Der Guide zeigt auf uns im Kreis Sitzende. Wir stellen buddhistische Statuen dar.
Guide: „Das ist Buddha Shakyamuni, das ist Guru Rinpoche, das ist der Zukunftsbuddha …“
Ich werde meist als grüne Tara angesprochen, und der manchmal etwas finster dreinblickende Sonam bekommt den Namen einer zornvollen Gottheit verpasst. Im Kursraum liegende Matten und Decken werden zu unseren “heiligen Büchern” und die Plakate zu Wandmalereien. Im tibetischen Buddhismus, so scheint mir, ist nichts todernst. Hinter allem verbirgt sich ein Lächeln.
Zwei Meter große Igel.
Auch die Aussprache bringt uns zum Lachen, denn die Durchwahl beim Telefonieren klingt bei ihnen oft wie Durchfall. Und statt Eierspeise sagen viele – weil’s leichter ist – einfach Eier-spicy! Dann ist da noch die Geschichte mit dem Igel: Wir lernen das ABC und dazu jeweils ein Tier, also A für Adler, Y für Yak und I für Igel. Ich will wissen, ob es in Ladakh auch Igel gibt. Zu meinem Erstaunen ist die Antwort ein einstimmiges Ja, die Igel in Ladakh seien sogar zwei Meter groß. Ich wundere mich ein wenig, doch mit den Händen wird die Igelspannweite bestätigt. Erstaunlich, was dieses karge Land für Igel hervorbringt! Sonam meinte dann noch, statt Igel könnte man auch Lämmergeier sagen. Da war alles klar! Der englische Eagle ist unserem deutschen Igel ja auch wirklich zum Verwechseln ähnlich.
Meine Schüler können noch kein perfektes Deutsch, sie können ihre Gäste aber nach dem Befinden fragen, ihnen etwas zu trinken oder zu essen anbieten. Und noch etwas wissen sie jetzt bestimmt: Dass es Igel in Ladakh doch nicht gibt und sie auch in Österreich nicht so groß wie Adler sind.
Mehr über Gretas Erfahrungen als Deutschlehrerin am Dach der Welt finden Sie unter: http://greta.si/